Interview mit Martha Bösch
Der Weg ist das Ziel
2004
Fritz Ruprechters Bildtafeln setzen sich aus den zahllosen Fragmenten eines stets erneuten Ansetzens zusammen. Sein Werk ist ein offener Prozess, der die Disziplin des Bogenschießens auf einer visuellen Ebene umsetzt. Beim Kyudo werden Auge und Hand diszipliniert, der Bogen mit ganzer Kraft gespannt. Dem pfeilschnellen Durchschneiden der Luft folgt notwendig im selben Augenblick das Loslassen der Spannung. Erst durch jahrelange, tägliche Übung des immer gleichen und doch jedes Mal verschiedenen Ablaufs nähert man sich der Meisterschaft. In seiner künstlerischen Disziplin schneidet Ruprechter gefärbte Kartons in schmale Streifen mit jeweils unterschiedlicher Länge und klebt sie dann auf Hartfaserplatten auf. Er fügt Streifen an Streifen aneinander, lässt aber auf den Längsachsen Raum zwischen den Schnitten, so dass sie zu Einschnitten werden. Aus dem Gegensatz der ruhig sich ausbreitenden Fläche mit ihrem weichen, unbestimmten Farbraum und den scharf geschnittenen diagonalen oder horizontalen Lücken entsteht eine eigentümliche Spannung, die der meditativen Wirkung Kraft verleiht.
An der Wand sehe ich zwei wunderschöne Bogen mit den dazugehörigen Pfeilen lehnen ... Ich hatte vorhin beim Betrachten Ihrer Bilder die Assoziation von fliegenden Pfeilen, die einen Raum durchschneiden. Sie sind ja ein Meister oder zumindest fortgeschritten Übender im japanischen Kyudo (Weg des Bogens). Wie sind Sie zum Bogenschießen gekommen?
In den Siebziger- und Achtzigerjahren habe ich auch Musik gemacht und mich intensiv mit John Cage beschäftigt. Er war ein Schüler des Zenmeisters und Philosophen Daisetz T. Suzuki, der als einer der ersten von Japan in den Westen kam, in Kalifornien lehrte und die Ideen des Zen nach Amerika brachte. Als mein Bruder 1986 als Germanist nach Japan ging, besuchte ich ihn und nutzte die Gelegenheit, Zen auch praktisch auszuprobieren. Durch einen Freund meines Bruders hatte ich die Möglichkeit, in Kanasawa in ein Zenkloster zu gehen, wo ich zehn Tage mit den 16 Mönchen zusammenlebte. Einer der Mönche übte sich in seiner spärlichen Freizeit im Bogenschießen und ich war sofort fasziniert. Er begann mir die Grundbegriffe beizubringen. Zurück in Tokio kaufte ich gleich einen Bogen. Allerdings hat es dann sechs Jahre gedauert, bis ich in Wien bei dem japanischen Kyudolehrer und Bogenbaumeister Shibata ein Seminar besuchen konnte. Seit damals – das war vor 12 Jahren – übe ich diese Disziplin aus. Es wird wohl noch mindestens 20 weitere Jahre bis zum Meister dauern.
Bei John Cage spielt die Aleatorik eine große Rolle. Wie zufällig sind die Anordnungen in Ihren Bildern?
Es gibt da verschiedene Vorgangsweisen. Ein Zufallsgenerator ergibt sich zum Beispiel aus dem Arbeitsprozess selbst: Ich schneide die Streifen sowohl der Länge nach als auch schräg und lege sie auf einen Stapel. Ich klebe sie dann Stück für Stück, meistens auf Hartfaserplatten, so wie sie kommen und ändere nichts mehr, d.h. ich komponiere nicht mehr, wenn ich mich entschieden habe, wie das System funktionieren soll. Es ist aber nicht so, dass ich ein System unbedingt ganz konsequent durchhalte. Es passieren Fehler, Unkonzentriertheiten, oder das Material will nicht so wie ich will ... Ich kämpfe auch mit meiner Inkonsequenz, die mich immer wieder ab- und woanders hinlenkt. Durch diese "Ablenkungen“ entsteht aber auch immer wieder die Möglichkeit, dass sich der Prozess in eine andere, neue Richtung entwickelt. Sonst würde das System zu starr werden.
Ein subjektives Element sehe ich bei Ihnen in einer Farbigkeit, die sehr "naturnah“ ist. Wenn man aus einer charakteristischen Landschaft kommt, dann ist auch eine bestimmte Farbigkeit vorhanden, die sich einprägt.
Die spezifische Farbigkeit hat damit zu tun, dass ich hauptsächlich vorgefundene Materialien verwende. Erst in letzter Zeit habe ich angefangen Farbe einzusetzen. Vor allem helle Blau- und Grüntöne als Aquarell aufgetragen. Vorher waren es eigentlich immer sehr gedämpfte Farben: Von Elfenbeinweiß über Gelb bis Grau, wobei sich die Farben erst im Laufe des Arbeitsprozesses zeigen, weil die Flächen zum Schluss mit Wach getränkt werden. Aber sicher gibt es auch eine starke Prägung. Ich habe als Kind den Schnee, diese vielen Weißtöne, sehr geliebt, besonders, wenn es ganz tief verschneit war. Aber auch das gebrochene Grau der Felsen, das verhaltene Grün. Der Eindruck aber, der sich am stärksten eingeprägt hat, ist das Nebelige und Düstere der Osttiroler Landschaft im Spätherbst. Vielleicht kommt von daher meine Vorliebe für gedeckte, gedämpfte Farben.
In ihren Werken verspüre ich eine große Stille und Ruhe. Eine gelassene Konzentration. Man denkt an das gedämpfte Licht japanischer Wohnräume, an die verschiedenen Disziplinen des Zen. Sie waren mehrere Male in Japan. Wobei ich mir unter Japan vor allem Dichte und Lärm vorstelle oder abrupte Wechsel wie in Chris Markers Film "Sans Soleil“...
In den großen Städten geht es tatsächlich unheimlich lebendig und laut und hektisch zu. Aber selbst dort findet man zwei Straßen weiter plötzlich die Stille in den alten Tempeln und empfindet das nicht als Widerspruch. Diese großen Gegensätze machen vielleicht einen der Unterschiede zwischen Japan und Europa aus. Äußerlich erscheint alles verwestlicht, aber man stößt immer wieder auf eine unsichtbare Grenze, eine Andersartigkeit. Individualität wird in Japan nicht so gefördert wie bei uns. Die Japaner sagen: "Ein Nagel, der vorsteht, muss wieder eingeschlagen werden.“ Das ist eine sehr tief verankerte Philosophie, die zum kollektiven Denken und Handeln tendiert und trotz der Marktwirtschaft immer noch große Bedeutung im japanischen Leben hat.
Hat Sie diese Philosophie persönlich beeinflusst? Z.B. in der täglichen Lebenspraxis?
Ja, ich denke schon. Die Kultur des Zen, wie sie vor allem in Kyoto in den Gärten und Tempeln unmittelbar neben dem Großstadttreiben zu finden ist, hat mich sehr beeindruckt und wahrscheinlich auch beeinflusst. Gerade mit dem Konzept des "Wabi-Sabi", das in der Präzision immer eine Lücke offen lässt. Mein Beitrag zur Ausstellung "Lichtwege" in Graz 2003 hatte den Titel: "Die Präzision der Ungenauigkeit". Wabi-Sabi ist ein umfassendes ästhetisches System. Es beschreibt eine Art von Schönheit, die sich durch Schlichtheit auszeichnet und auf äußeren Prunk verzichtet.
In den Jahren der musikalischen Experimente waren Sie eher aktionistisch unterwegs. Nun arbeiten Sie seit Jahren ganz traditionell in Ihrem Atelier. Ist dieser Weg einfach altersbedingt oder ist es ein Reifeprozess?
Ich glaube, dass künstlerisches Arbeiten fast immer einsame Arbeit ist. Auch wenn man Aktionen macht, machen diese nur einen Bruchteil der künstlerischen Arbeit und Reflexion aus. Auch die Wiener Aktionisten sind nicht so oft an die Öffentlichkeit getreten, wie es im Rückblick erscheint. Erst in der Aufarbeitung durch die Kunstgeschichte schaut das so komprimiert und umfangreich aus. Ich habe einen Weg eingeschlagen der, ähnlich wie das Kyudo, viel Geduld und Konsequenz erfordert.
Man könnte Ihnen vorwerfen, dass Sie ein einseitiger Künstler sind, weil Sie sich seit vielen Jahren auf eine einzige Technik konzentrieren. Im Gegensatz dazu scheinen heutige Künstler geradezu unter einem Zwang zu medialer Vielseitigkeit zu stehen.
Nach meiner Studienzeit habe ich vieles ausprobiert. Es war die Zeit der neuen wilden Malerei. Ich sah damals für mich keine Möglichkeit zu malen und begann mit Video zu experimentieren. Mit einer meiner Videoproduktionen war ich im Museum des 20. Jahrhunderts zur Ausstellung "Video made in Austria 1980" eingeladen. Diese Videoarbeit wurde 2000 in der Ausstellung "RE-PLAY" im Ausstellungskatalog der Generali Foundation dokumentiert. In dieser Arbeit habe ich vier Videokameras eingesetzt, die wie Schaukeln vier Textbahnen entlang fahren und so einen neuen Text erzeugen, dessen Buchstaben sich verwischen. Wenn die Kameras zum Stillstand kommen lautet der Text: "VIDEO POEM".
Ferdinand Schmatz hat in einem Katalogbeitrag die Verbindung zur Sprache bzw. die Auflösung ihres Systems in seinen phänomenologischen Gedichten thematisiert. Sie haben aber mit dem Medium Film nicht weiter gearbeitet?
Nein. Ich wollte keine Filme im narrativen Sinn drehen, andererseits war Video als Material schon relativ ausgereizt. Das war für mich dann der Grund, mich mehr mit Musik auseinander zu setzen, wo es mir am ehesten möglich erschien, den vorgegebenen Codes zu entkommen. Anfang der Achtzigerjahre gründete ich gemeinsam mit anderen Künstlern die Musikgruppe "Laut Vereinbarung". Die Stücke wurden alle frei improvisiert, es gab keine Komposition, allerdings haben wir regelmäßig geprobt. Die Höhepunkte meiner musikalischen Phase waren sicher das 50-Stunden-Konzert im REM am Mozartplatz in Wien und das Konzert anlässlich der Maria Lassnig-Ausstellung im 20er Haus. Erst durch die Beschäftigung mit Musik habe ich wiederum eine Möglichkeit gesehen meine bildnerischen Arbeiten fortzusetzen. Für mich haben die Arbeiten der letzten Jahre immer etwas mit Partituren zu tun – die Videoarbeit kann auch als Sprachpartitur gesehen werden – das ist vielleicht das Gemeinsame an den einzelnen Arbeitsphasen. In den letzten Jahren habe ich einige Male Bilder als Partituren eingesetzt, so z.B. 1995 eine Arbeit von 12 Metern Länge bei einer Performance im Wittgensteinhaus mit dem ROVA-Saxophonquartett aus San Francisco und 1999 bei der Performance "4 rooms 4 pieces 4 paintings“ mit Steve Lacy.
Sie stellen zur Zeit gerade in der ÖBV gemeinsam mit Barbara Höller aus. Die ÖBV verfolgt ja keine erkennbare Ausstellungsprogrammatik, soweit ich das überblicken kann. Aber etwas fällt mir auf: Musik spielt immer wieder eine Rolle und es kommen mir immer wieder Künstler unter, die auch etwas mit Musik zu tun haben.
Davon weiß ich zu wenig. Aber auch bei unserer ÖBV-Ausstellung gibt es Musik: Bei der Midissage wird das Hans Hauf-Quartett spielen. Boris Hauf kenne ich schon sehr lange aus der Musikszene. Er hat schon vor fünf Jahren eine meiner Ausstellungen in der Galerie Atrium et Arte eröffnet – anstelle einer Eröffnungsrede wollte ich ein Sopran-Saxophonsolo. Das war auch die Anbahnung zur aktuellen Ausstellung.
Ihre neueren Arbeiten haben zum Teil skulpturalen Charakter bzw. beziehen sich auf architektonische Situationen. .
Im Dokumentationszentrum für moderne Kunst in St. Pölten habe ich mit dem Architekten Walter Zschokke fünf Räume temporär gestaltet. Und in meiner Ausstellung im April 2004, im Museum der Stadt Weiblingen in Deutschland, werde ich ebenfalls Bezug auf die Architektur nehmen. Da meine Arbeiten nicht nur Oberflächen, sondern auch Bildkörper sind, ist die Verbindung zur Architektur naheliegend. Ich sehe mich da in der Tradition der Bauhauskünstler, etwa eines Josef Albers, für den die bildende Kunst stark mit dem Raum lebt und den Raum beinhaltet.
Danke für das Interview.