2009 Aigner

Silvie Aigner

Ever tried, ever failed.............
365 Tagesstudien von Fritz Ruprechter
2009

Fritz Ruprechter ist ein Reisender, davon erzählen auch seine Bilder. Auch wenn diese uns als formale, rein materialimmanente Prozesse entgegentreten und uns scheinbar nichts davon vermitteln, was wir herkömmlich mit dem Thema Reise assoziieren. Der Mensch malte sich bereits früh seine Phantasien über ferne Länder aus. Landschaften, die wir uns vorstellen, werden dabei oft durch literarische Quellen evoziert. Die Imagination der Bilder vermittelt sich zu selbst gedachten Wunschlandschaften. Doch ist Reisen auch immer ein Anfang, der uns ermöglicht einen Sprung zu machen oder eine Entdeckung, in der Balance zwischen Hingabe an das Neue, Unbekannte und dessen Inbesitznahme. So meint das Thema Reise im Kontext einer Installation Fritz Ruprechters im Museum der Wahrnehmung mit Sicherheit auch nicht die Urlaubsreise aus dem Werbeprospekt. Gemeint ist vielmehr das "ästhetische Reisen", ein Begriff den Klaus Kufeld in seinem Buch "Die Erfindung des Reises – Versuch gegen das Missverstehen des Fremden" prägte.1

Dieses lässt sich nicht in ein vorgegebenes System pressen, vielmehr wird die "ästhetische Reise" zur Sensibilisierung des Geistes und schließt ein lautes, vereinnahmendes Herangehen an das Fremde aus. Die Ästhetik des Reises bildet sich, so Kufeld bereits mit der Kultur des Lesens heraus, durch literarische Reiseberichte. Als ich letztes Mal im Atelier von Fritz Ruprechter war, lag auf einem Stapel von Kunstbüchern Charles Darwins Aufzeichnung über seine Reise mit der MS Beagle. Viel gepriesen auch ob seiner literarischen Qualität, in der es dem Naturwissenschafter gelang, seinen vielfältigen Eindrücken und Erlebnissen eine Form zu geben. Ein Buch, das Fritz Ruprechter nun auf seine Reise nach Brasilien mitnimmt. Als ich vorletztes Mal bei Fritz Ruprechter war, packte er für einen mehrmonatigen Aufenthalt in Santiago de Chile, wohin er als Artist in residence  2007 eingeladen wurde. Als wir uns unlängst bei einer Vernissage in Wien trafen, erzählte er mir von seinem Vorhaben im nächsten Jahr wieder nach Japan zu reisen. Die Erfahrungen und Erlebnisse aus seinen Reisen, die ihn zuweilen auch in Länder führen, in denen das wissenschaftliche Arbeitsfeld seiner Frau, der Ethnologin Friedl Grünberg liegt, entziehen sich jedoch in seinem Werk einer narrativen Umsetzung. Die Übersetzung dieser Erfahrungen erfolgt innerhalb seiner künstlerischen Arbeit auf einer anderen Ebene. Reisen bildet, Reisen bildet aber auch um, verändert, weil Reisen, so der Schriftsteller, Historiker und Philosoph Alain de Botton "genau jene Zeit markiert, in der die Leute ihre Gemütsverfassung ändern, weil sich ihre Umgebung ändert". Reisen wirft auch, so de Botton weiter, "philosophische Probleme auf, das heißt Fragen, die über das Praktische hinausgehende Überlegungen erfordern." Wahrnehmungen von Dingen, Situationen, Sinneseindrücke geben dem Betrachter zuweilen die Ahnung auf das Wesentliche der Natur oder des Lebens per se gestoßen zu sein. Nur wie entspricht man dieser elementaren Erfahrung in der Malerei? Die Herausforderung diese Ahnungen zu beschreiben oder darzustellen ist Teil des immanenten Kunstprozesses von Fritz Ruprechter und das Reisen ist ein   nicht unwesentlicher Teil davon. Doch was vermitteln uns seine Bilder von diesen Eindrücken?

Darüber hinaus ist es nahezu ein Paradoxon, diese Überlegungen im Zusammenhang mit den ausgestellten Tagestudien anzustellen. Sind sie doch innerhalb eines Zeitraums entstanden, wo der Künstler eins gewiss nicht war - auf Reisen. Eine gewisse Genauigkeit des Blicks, eine bewusste Beobachtung selbst alltäglicher Dinge und Handlungen zeichnet den Schaffensprozess des reisenden Künstlers aus, der Dinge an fremden und heimischen Orten wahrnimmt, die touristischen Sehgewohnheiten verborgen bleiben. Zuweilen scheint der Reisende dadurch, dass er sich in einer anderen Umgebung befindet auch auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. Fritz Ruprechter hat durch die Arbeit an den 365 Tagesstudien gewissermaßen auch eine Reise angetreten. Eine Reise an deren Anfang er noch nicht wusste, wohin sie ihn führen wird. Reisen kann auch ein Weg der kleinen Schritte meinen. Es bedarf nicht immer großer Transportmittel oder der Überwindung geografischer Breitengrade, sondern oft nur den Willen ein Projekt anzutreten auf der Suche nach Erkenntnis und Bewusstseinserweiterung. Vielleicht war dieses Vorhaben, das Fritz Ruprechter antrat, vom 1. August 2006 bis 1. Juli 2007 jeden Tag ein Bild zu machen, immer im selben Format, in der selben Technik etwas, das ins Innere seiner Arbeit und zu einer Verdichtung und Reduktion der Form führte. Fragte nicht schon Friedrich Nietzsche: Wie weit reicht die Kunst ins Innere der Welt? Hält man nicht mit dem eigenen Schaffen einen Prüfstein in der Hand? Man könnte noch Boris Groys zitieren, der über das Neue schrieb, als etwas, dass man herkömmlich mit einem radikalen Neuanfang interpretiert. Doch dem Anspruch immer etwas gänzlich Neues im Sinne einer Schnelllebigkeit zu schaffen, verweigert sich Fritz Ruprechter und dennoch sind seine Bilder stets anders, selbst dort, wo er jeden Tag mit der gleichen Technik und dem gleichen Format arbeitet. So als wolle er unsere Fähigkeiten der Wahrnehmung von Farbnuancen und formalen Details verdichten.

Die Arbeit an den 365 Bildtafeln war ein offener Prozess, der dem Künstler die Disziplin des Malens in einem und demselben Format jeden Tag abrang und ihn zwang innerhalb dieser von ihm selbst gewählten Rahmenbedingungen, Linien, Farben, Details in kleinen Schritten – Nuancen – zu verändern. Die Entstehung der 365 Tagesstudien wurde solcherart zu einem work in progress, dessen Veränderung sich allein aus dem Werk selbst entwickelt und Geduld und Konsequenz erforderte. So setzt der Zyklus auch visuell etwas um, das Fritz Ruprechter neben seinen Reisen ebenso prägt und auszeichnet: die Kunst des Bogenschießens oder Kyudo, die der Künstler seit vielen Jahren praktiziert. Beim Kyudo werden Auge und Hand diszipliniert, der Bogen mit ganzer Kraft gespannt. Dem pfeilschnellen Durchschneiden der Luft folgt notwendig im selben Augenblick das Loslassen der Spannung. Erst durch die jahrelange, tägliche Übung des immer Gleichen, das sich  jedoch stetig verbessert und jedes Mal eine neue Variation darstellt, nähert man sich der Meisterschaft.

Kennengelernt hat Fritz Ruprechter die Kunst des Kyudo in Japan, in einem Zenkloster und in den Gärten und Tempeln Kyotos und dies hat mit Sicherheit auch seine Arbeit entscheidend geprägt.  Doch bei aller scheinbaren Präzision die das Bogenschießen ebenso wie seine Arbeiten charakterisiert, geht es Fritz Ruprechter jedoch vor allem um die feinen, sensiblen Abweichungen vom Perfekten. Um das "Wabi – Sabi", jenem japanischen Konzept der Wahrnehmung des Schönen, das vor allem auf herbe Schlichtheit und auf eine "Präzision der Ungenauigkeit" zielt. Nicht auf die glatte Oberfläche, sondern darauf, sie auch wieder zu durchbrechen, um die Wahrnehmung nicht nur auf die Genauigkeit der Linienführung zu lenken, sondern auch auf die Farbschicht daneben. Neben diesen konzeptuellen und philosophischen Überlegungen, die sich dann auch in seiner Arbeit wiederfinden, formulierte Fritz Ruprechter stets auch die Nähe seiner Werke zur Musik und Architektur. So entstand eine Reihe von Rauminstallationen gemeinsam mit dem Architekturtheoretiker Walter Zschokke. Ebenso bezog Fritz Ruprechter auch auf die formale Qualität von Partituren in seinen Arbeiten. Er selbst hat in den Siebziger- und Achtzigerjahren Musik gespielt und sich intensiv mit John Cage auseinandergesetzt.  Hier schließt sich der Kreis zum japanischen Buddhismus, denn auch Cage war Schüler eines Zenmeisters.

Für den Zyklus der 365 Tagesstudien hat Fritz Ruprechter ein schmales Konzept entwickelt, das nicht viele Möglichkeiten bot auszubrechen oder abzuschweifen, aber innerhalb dieser Rahmenbedingungen eine Vielzahl von Variationen erschloss. Es war auch ein Versuch auszuprobieren, was passiert, wenn man sich diszipliniert, jeden Tag ein Bild zu malen. Welche Gedanken kommen beim Malen, welche formalen Veränderungen ergeben sich. Stets im selben Format und in derselben Technik und denselben Farben zu arbeiten und allein nicht zu überlegen, welche äußere Form die Komposition verlangt, bewirkt zwangsläufig auch eine Verinnerlichung und Konzentration auf die Arbeit. Aber auch eine andere, vielleicht verdichtete Wahrnehmung des Alltags.

Fritz Ruprechter malt und arbeitet mit Farbe, dennoch sind seine Bilder nicht bunt sondern durch feine Abstufungen von Farbtönen charakterisiert. Fritz Ruprechters Œuvre hat eine ganz spezifische Farbigkeit, die vielfach damit verbunden ist, dass er hauptsächlich vorgefundene Materialien verwendet und auch mit Materialfarbe arbeitet. So entsteht aktuell eine Serie mit Farben, die im Schiffsbau eingesetzt werden. In den Tagesstudien kommen vor allem helle Blau- und Grautöne bis hin zu lasierend grünen Farben zum Einsatz von Hookersgrün , über Ultramarinblau, Pariserblau bis hin zu Neutralgrau. Zunächst wurden Linien mit Kugelschreiber gezogen und dann die Farben in lasierender Aquarelltechnik aufgetragen. Über die Farbe wird eine Schichte aus Paraffin gelegt. Die Farben werden dadurch verstärkt und erhalten eine stärkere Leuchtkraft. Zudem erhält das Papier, den für Fritz Ruprechter charakteristischen Materialcharakter. Entlang der Linien wird das Papier in der Folge gefaltet, durch das Brechen der Wachschicht entlang der Kante, entsteht eine neue, strukturierte Oberfläche.

Was auffällt ist die Balance zwischen Grafik und Malerei. Und dennoch sind Fritz Ruprechters Aquarelle vor allem eines nicht – reine Papierarbeiten. Fritz Ruprechter sieht sich nicht als Maler oder Grafiker, wenngleich auf dem Blatt die Linien und die Fläche dominiert. Doch folgen seine Arbeiten nicht einem geschlossenen Werkbegriff. So ordnet Fritz Ruprechter sein Werk weit mehr dem Objektbegriff zu, da dieses räumlich installiert wird, wie auch in der Ausstellung des MUWA und seine Arbeiten auch aus der herkömmlichen Wandhängung heraus in den Raum diffundieren und diesen thematisieren. Andererseits ist durch das Auftragen von Karton oder Wachs, sowie Materialfarbe auf einen Bildträger und den durch Fritz Ruprechter getätigten Schnitten in das Material, die zweidimensionale Bildfläche aufgebrochen. So entsteht ein Bildraum aus nuancierten Möglichkeiten der Wahrnehmung,  der sich auch durch den Lichteinfall verändert.

Heißt dies nun, dass die Farben der Natur überhaupt keinen Einfluss auf die Bilder von Fritz Ruprechter haben? Er selbst begründet seinen Hang zur verhaltenen Farbigkeit jedoch sehr wohl auch mit Eindrücken aus der Natur, wie dem Grau eines Felsens oder dem Weiß der Winterlandschaften seiner Kindheit. Doch führt uns Fritz Ruprechter weit über eine abstrahierende Übersetzung der Natur hinaus, im Sinne Umberto Ecos der meinte: "es gibt keine Abstraktion mehr, nur die unmittelbare Präsenz der Materie, die wir in ihrer ganzen Konkretheit genießen sollen. Wir betrachten die Natur im Staubzustand." 2 D.h. es geht in der von Umberto Eco angesprochenen Ebene nicht mehr darum, die Wirklichkeit per se darzustellen, sondern ihre Entität, das was als Verdichtung in der eigenen Wahrnehmung übrig bleibt. Das Bild stellt somit sowohl die äußere als auch die innere, subjektivierte Wirklichkeit dar. Die Suche nach einer adäquaten Darstellung dieser Dualität schließt per se eine narrative Darstellung aus.
Fritz Ruprechter geht es in seiner künstlerischen Arbeit um den steten Versuch seinen Intentionen jeden Tag ein Stück näherzukommen. Er zielt nicht auf das einzige, vollkommene Kunstwerk, auf den absoluten Geniestreich. Vielmehr interessiert ihn der tägliche, manuelle Arbeitsprozess, die dem Kyudo ähnliche, stete Übung in Anlehnung an ein Gedicht von Samuel Beckett:

Ever tried
Ever failed
No matter
Try again
Fail again
Fail better

Etwas, das wir vielleicht gemeinhin auch Leben nennen könnten.

 
1 Klaus Kufeld, Die Erfindung des Reisens, Versuch gegen das Missverstehen des Fremden, edition splitter, Wien, 2005

2 Umberto Eco, Form und Offenheit, in ders. Das offene Kunstwerk, Frankfurt am Main, 1973.