Rainer Fuchs
Genaue Ungenauigkeiten
Rede zur Ausstellung in der Galerie Atrium ed Arte, 2004
Wenn man die Kunst von Fritz Ruprechter als Malerei klassifiziert, dann greift das etwas zu kurz. Wenn man unter Malerei noch dazu eine gefühlshafte Ausdruckskunst versteht, oder aber eine Kunst der intimen Selbstbespiegelung, dann liegt man nochmals daneben. Ruprechter vermalt die Farbe nicht, um Gefühle zum Ausdruck zu bringen oder um Geschichten zu erzählen, sondern seine Bildkunst ist das Resultat einer präzise strukturierten Materialhandlung, fast einem bildhauerischen oder skulpturalen Vorgang vergleichbar.
Wenn Sie die Bilder genau betrachten, werden Sie sehen, dass es sich eigentlich um Reliefs handelt, sie werden feststellen, dass es hier nicht immer nur glatte Oberflächen gibt, sondern dass diese Oberflächen Profilsprünge aufweisen. Und dass darüber hinaus die feinen grafischen Linien eigentlich Schnitte und Zäsuren im Material sind. Es sind – vereinfacht ausgedrückt - aus Materialstreifen zusammengesetzte Bilder, deren Oberflächen mit Farbe und Wachs behandelt sind, sodass sich eine transluzide Oberflächenwirkung ergibt und man den Eindruck gewinnt, als ob man es mit Materialien wie Marmor oder Kunststoff zu tun zu hätte.
Es ist als also eine Malerei der Materialien bzw. eine Art von konzeptuellem Puzzle, also eine Kunst, die wenn sie auch beim einen oder anderen Betrachter lyrische oder meditative Stimmungen auslösen mag, dennoch auf Kalkül und penibler Detailarbeit beruht. Eigentlich eine sehr unösterreichische Art der Malerei, bei der nicht die spontane expressive Geste kultiviert wird, oder es ein Schwelgen in Gefühlen gibt, sondern wo ein präziser Arbeitsplan angewandt wird, der Schritt für Schritt zur Entfaltung gelangt.
Diese Arbeiten erinnern an Notationssysteme bzw. Partituren und rücken damit als bildhaftes Zeichensystem auch in die Nähe der Sprache. Es ist auch kein Zufall, dass Fritz Ruprechter in einigen seiner Aquarelle liniertes oder kariertes Papier als Arbeitsgrundlage benutzt hat, also Papier, das gewöhnlich dafür bestimmt ist, Texte und Sprache aufzunehmen. Dass Fritz Ruprechter auch Musiker ist, also jemand der gewohnt ist, Notationssysteme und Partituren zu lesen und zu interpretieren, sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.
Vergleicht man die einzelnen Bilder der Serien miteinander, so entdeckt man erst ihre Eigenheiten. Nur auf den ersten Blick sehen sie alle ähnlich aus, aber in Wahrheit besitzt jedes einen eigenen Charakter, stellt jedes eine eigenständige formale Lösung und Erfindung dar. Die jeweilige Eigenheit der Bilder ist also immer eine Funktion der Differenz zu den anderen und alle gemeinsam bilden eine Art Satz aus unterschiedlichen Begriffen. Auch hier liegt der Vergleich mit der Sprache nahe, ohne allerdings einer Gleichsetzung das Wort reden zu wollen. Begriffe und Worte für sich genommen, bedeuten oft wenig oder nur sehr Allgemeines. Erst ihre Lage in einem übergreifenden Beziehungsgeflecht, einem Satz oder einer Argumentationskette, trägt zu einer Klärung und Präzisierung ihrer Bedeutung bei. Verwendungszusammenhänge sind als entscheidend, sie generieren die Eigenheiten und die Beziehungen der Begriffe zueinander als relationales Geflecht. Damit vergleichbar ist die Arbeit Ruprechters in den hier ausgestellten Bildserien.
Ruprechter gestaltet meist Bildserien, wobei die einzelnen Bilder in sich bereits serielle Strukturen aufweisen. Man könnte auch von Bilderketten sprechen, deren Einzelteile in sich Strukturen der Verkettung aufweisen. Es spiegelt sich also das Eine im Ganzen und das Ganze im Einen. Es ist eine Art von mittelbarer Malerei, die nur auf den ersten Blick eine perfekte und gleichmäßige Malstruktur aufweist. In Wirklichkeit jedoch kennzeichnet diese Bilder das Prinzip der Verzahnung und Verschiebung und eine Struktur, die sich aus der Abweichung vom Symmetrischen und Metrischen erschließt. Es ist eine syncopische Malerei, um in der Terminologie der Musik zu argumentieren, die sich dem perfektem Ebenmaß entzieht und die bewusst auf Irritation setzt. Bei den blauen Bildern ist es z.B. gar nicht so einfach, den Blick scharf zu stellen, weil die Oberfläche uneben sind, aber zunächst den Eindruck einer einheitlichen Fläche erwecken. Ebenso wie auch die Linien in Wahrheit Schnitte und Zäsuren, also Vertiefungen und Fügungen sind. Wenn sie auf die Schatten an den unteren Bildrändern achten, so verraten diese die Oberflächensprünge, die man zunächst nicht vermuten würde.
Das sind also Arbeiten, die ganz absichtlich das Fehlerhafte oder das Ungenaue kultivieren, also ein bewusstes ironisches Unterlaufen des Perfektionismus und der klaren Berechenbarkeit zu Inhalt haben. Zum Thema wird hier auch die Unmöglichkeit, alles im Vorhin kalkulieren und kontrollieren zu können. Aber auch die Betrachter bzw. deren Reaktionen und Interpretationen sind ja niemals a priori planbar. Als Betrachter hat jeder von ihnen Erfahrungen und Erwartungen, die sich von jenen der anderen unterscheiden. Weil aber jeder andere Prioritäten und Akzente setzt, wäre das Anbieten einer einzigen und eindeutigen Lösung von vorneherein ein müßiges und naives Unterfangen. Aus diesem Grund besteht genaue Kommunikation oft genug einfach darin, sehr genau ungenau zu sein. Diese unhintergehbare Erfahrung der Kunstbetrachtung scheint Ruprechter quasi von vornherein in seiner Werkproduktion zu thematisieren.