Burghart Schmidt
Dialektik des Rasters: Zelt und Höhle.
Oder über "präzise Vergnügen"
Ausstellungseröffnung 27. April 2007 in der Galerie Artmark
Die Exponate von Fritz Ruprechter haben etwas mit dem zu tun, was ich Raster nennen möchte. Raster, die dem Eindruck nach über die Bildfläche hinaus weiterlaufen, ob in der Vertikalen oder der Horizontalen oder auch in verschiedenen Diagonalen, also nach allen Seiten.Das ergibt eine merkwürdige Spannung bei manchen seiner Exponate hier vor Ort der derzeit laufenden Ausstellung. Denn diese Rasterungen erinnern auf symbolischer Ebene, die ihnen ebenfalls eignet, nicht nur die mathematische Konstruktivität, an das, was der Künstler jetzt mit ihnen auch wirklich gemacht hat, nämlich er lässt dorthinten seine Bildtafeln wie Vorhänge oder Planen herunterhängen, und gleich fühlt man sich, als hielte man sich in Zeltarchitekturen auf. Und Zeltarchitektur, eine Rasterarchitektur, war durch die menschliche Architekturgeschichte hindurch immer das Kontra zur Massivbau-Architektur.
Es gibt da ein Buch von Max Onssell: "Ausdruck und Wirklichkeit", welches das zu den zwei Grundmustern erklärt hat von menschlicher Architektur: das Mauernde der Römer, die ihre Gebäude durch das wechselwirkend gesamte Mauerwerk hatten tragen lassen, orientiert an der Höhle in Simulation, und dieses dann für die Außen- wie Innengestaltung mit Platten, Aufsatzplatten der Ornament- und Bildbereiche bedeckten. Nur diese Aufsatzplatten oder Verkleidungen haben mit dem Tragen von Bauwerk samt Dach nichts zu tun, alles Mauerwerk dahinter allerdings schon.
Im Zelt dagegen hat jeder Teil des Trägersystemischen Funktion für die Statik, jedoch die leeren Zwischenräume zwischen dem Gestänge oder, fortgeschritten, dem Fachwerksgerüst verhalten sich zur Statik ganz neutral. Und dann werden die Zeltdecken darüber gelegt oder die leeren Fächer ausgefacht, aus welcher Art Zeltplanen oder Fachausfüllungen die statikneutrale Vervollständigung der Architektur auch immer besteht. Zelt ist ein Tragesystem und damit kommt schon wieder der dynamische Effekt hinein, der jedem Raster irgendwie innewohnt, indem man ihn sich permanent fortgesetzt vorstellt. Und dazu ist das Zelt ja auch eine transportabel leichte Art von Architektur, möchte man meinen, eine Architektur des Verreisens, ein Effekt des dynamischen Effekts, die Ortsveränderung, statt der Standorthaftigkeit von Mauerwerksarchitektur. Und doch, dadurch dass Ruprechter in dieser Ausstellung auch jene Simulationen dicker Tafeln da um die Raum-Ecken gesetzt hat oder in die Binnenecke und dabei für sie Metall- und Steinfarben wählte, bekommt man ebenso das widersprechende Gefühl, man hätte es mit Steinplatten zu tun, fast vom Berge Sinai, was der Darstellung von Raster im Sinne von Zelt und wehender Architektur dann sich entgegensetzt, unverrückbare Höhle.Doch das entspricht wiederum der Sinaigeschichte vom wandernden Volk Israel, seine Gesetze allerdings existierten auf gewichtigen Steinplatten gemeißelt-geschrieben. Man kann also die Komposition der Exponate Ruprechters deuten als das sich konfrontierende Darstellen zweier Archetypen des Architektonischen in deren dialektischem Zusammenhang durch malerisch-zeichnerische Manöver. Denn beides gehört ja zum Menschen: My home is my castle und der Wander- wie Reisedrang.
Bleiben wir noch bei dem Problem der Rasterungen, um mehr zu verstehen aus dem, was der Künstler gemacht hat. Raster, ....
Spreche man nun von dem Haupt-Arbeitsthema Ruprechters, das er mit seinen ausgestellten Stücken hier darstellt. Dann ist das ein Untersuchen von Abweichungen innerhalb der verschiedenen Rastersysteme. Und obwohl sie eigentlich konstruktiv manchmal sehr erstarrt wirken in ihren berechneteten Übergängen von den Senkrechten zur Diagonalen etwa, kristalline Dynamik, sie wirken durch das Kristalline doch hoch sensibel im Zusammenspiel mit der ganz sensiblen Farbgebung.
Und insofern entspricht Solches durchaus den Minimalisierungstendenzen, die Sie wieder auch in den Werken von Yamauchi erfahren.
Es geht hier um Minimalisierung des Sinnlichen, mit Steigerungsversuch des Sinns fürs Wahrnehmen kleiner, ja kleinster Differenzen, die kleinen Abweichungen eben, und Ähnliches. Und hier könnte ich daran anfügen, was diese ganze, aus der Kunstbewegung des Konkreten herausgekommene, konstruktivistisch motivierte Kunstunternehmung verfolgt, das sind Reflexionen auf das, was bei uns überhaupt Bilder zustandebringt. Dieses das Bild Bildende muss sich selber dem Bilden, dem Bildhaften soweit wie möglich entziehen.
Aber noch weiter: was hat das dann mit unserer Gesellschaft und Wirklichkeit zu tun? Manche Linksmotivierte lehnen es ja bis heute ab, dass eine Kunst sich für irgendwelche abstrakten Reflexionen aus den gesellschaftlichen Realitäten zurückzöge. Andere haben's früher genau gemerkt: in seiner großen Polemik gegen die neue bildnerische Kunst des 20. Jahrhunderts hat Georg Lukacs eben von Formalismus und von sich selbst beschränkender Widerspiegelung der Technologie gesprochen, auch der Psychologe Lorenzer und Andere haben diese Kontra-Stellungnahme in den 60er, 70er Jahren vorigen Jahrhunderts wiederaufleben lassen, bloß Verdoppelung der entfremdeten Welt in der vollendeten Entfremdung des Menschen von sich Und im gewissen Sinne gilt das auf ersten Blick in Scheinoffensichtlichkeit auch für Künstler wie Yamauchi und Ruprechter, die offensichtlich reflektieren auf das, was Bilder erzeugt, insofern sind sie auf Technik der Bilderzeugung eben konzentriert in dieser Erzeugungsdynamik des Malerischen und des Zeichnerischen. Und darin lässt sich in der Tat die technologisch orientierte Gesellschaft widerspiegeln. Dazu sage ich gleich: das gilt für den technischen und den wissenschaftlichen Konstruktivismus, richtig, diese Behauptung, sie gilt aber darum nicht für den künstlerischen Konstruktivismus. Mehrere Faktoren des Künstlerischen sprechen dagegen. Künstlerische Konstruktivität ist immer weiter und weiterhin auf Einzigartigkeit aus. Auf das Einzigartige eines momentanen und flüchtigen Eindrucks wider die Generalisierungstendenzen des Wissenschaftlichen und der Technologie.
Die technische und wissenschaftliche Konstruktivität eben, selbst wenn es um die konstruktivistische oder konstruktive Psychologie geht, will auf Verallgemeinerung hinaus. Ganz anders also das darstellende Kunstunternehmen. Demnach, soweit Wissenschaft, Technologie und Kunst unter den Begriff des Konstruktivismus passen, handelt es sich über den Darstellungsfaktor eher um Gegenläufe zwischen den ersten beiden und der letzteren Und so empfinde ich auch die Bildwerke von Ruprechter. Das sind Gegenläufe zu den Verallgemeinerungstendenzen einer technologisch gewordenen Gesellschaft. Sie kämpfen für das Anrecht des Einzigartigen innerhalb dieser Gesellschaft. Vom einzelnen, flüchtigen Eindruck, bis zu unseren individuellen Ansprüchen gegenüber der Uniformierung, die wir heute erleben, mit sich steigerndem Zwang zur Selbstprofilierung, Zwang, sich so selbstlobend-angeberisch herauszuheben, dass man in jeder Evaluation mit guten Noten rauskommt (evaluierende Quantifizierung gar), jenseits aller Schamgrenzen, weil das jeder so macht, bei Strafe des Untergangs mehr Schein als Sein. Bewährt werden muß, dass man ein normierter Typ ist nach den entsprechenden DIN-Maßen, wobei zur Norm gehört die Phrase von der Kreativität und dem Selbstverwirklichungsdrang Da werden Leute im Namen des Selbst in Uniform gesteckt und gepresst sondergleichen. Ich kenne ja all die Formularblätter da jetzt, nach denen Evaluation, ja auch in den Geisteswissenschaften, ja ebenso in den Kunstwissenschaften, abläuft.
Also, weil Darstellung Abstandnahme ist von dem, was dargestellt wird, haben wir doch gesellschaftliche Faktoren eines Protests gegen solche Tendenzen einer Technologisierung und Ökonomisierung.
Zum weiteren, ob Sie Yamauchi nehmen oder Ruprechter, in all ihrer Gegensätzlichkeit, so stoßen Sie eben auf jenes Verhältnis zur Sinnlichkeit, nach dem die Sinnlichkeit nicht das grob Expressive ist. Manche expressionistischen Bilder konnten einen ja schon in der 20er Jahren erschrecken, gar die neoexpressionistischen Werke der Neuen Wilden in postmodernen Zeiten 30 Jahre zurück, mit der ins Auge knallenden Reizsinnlichkeit aus Unübersehbarkeit. Hier aber geht es um etwas, was, vielleicht ein bisschen viel leidend an der sinnlichen Grobheit, dem entgegen Max Bense "präzise Vergnügen" genannt hatte.
Es gibt im Expressiven, mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger, die präzisen Vergnügen, das heißt die Vergnügen des Auffassen-Könnens kleinster Differenzen und der Fähigkeit, daran das Vorstellen weiter laufen lassen, weiter laufen lassen, immer weiter laufen lassen .... zu können. Es handelt sich hier im Zusammenkommen von Yamauchi und Ruprechter wirklich um eine diskutierende Begegnung, die ihre mächtigen Differenzen im fast Unscheinbaren hat und trotzdem auch starke Übereinstimmungen aufweist auf Grund einer Diskussion, die gelaufen ist, und wie sie hoffentlich weiterläuft.
Ich danke ihnen schön fürs Zuhören.