Florian Steininger
Malerische Tafeln der inneren Ruhe
2007
Fritz Ruprechters bevorzugtes Arbeitsmaterial zur Erstellung seiner abstrakten Bilder ist Papier (Kartons, Buntpapier, etc.), das der Künstler in Streifen schneidet und mit heißen Wachs tränkt. Applikationsträger der Papierstreifen sind meist Holzspanplatten. Ruprechter malt sozusagen mit dem Bügeleisen und realisiert durch die unterschiedlichen Reaktionen von Papiersorte und heißem Parafin ein umfangreiches Spektrum von Strukturen und optischen Effekten auf der Oberfläche. Vor allem dunkle Farbwerte evozieren den Eindruck patinierter Materialien wie altes Holz, korrodiertes Metall oder verwitterte Mauerstücke. In seiner jüngsten Ausstellung in der ehemaligen Kirche St. Peter an der Sperr in Wiener Neustadt präsentierte der Künstler in diesem Sommer eine Gruppe von Arbeiten, die in ihrem Kolorit den Beschaffenheiten von Mauer und Boden vor Ort entsprachen. Gegenstücke waren zu den erdigen Bildtafeln luftig transparente Farbbahnen auf Aquarellpapier, die in Korrespondenz mit den Fenstern der gotischen Hallenkirche standen. Fein schillernde Nuancen in Grau-, Lila- und Grünwerten. Die grafischen Strukturen der monumentalen Aquarelle korrelierten mit den kleinteiligen Parzellen der Scheiben in den schlanken Spitzbögen in Chor und Langhausbereich.
Trotz aller Bezüge außerhalb des Bildkörpers – Kontext architektonische und öffentlicher Raum – geht es Ruprechter primär um einen durchwegs klassischen Bildcharakter, der in der Nachkriegsavantgarde wurzelt. Seine Bilder sind abstrakt, sind selbstreferenziell, genügen sich selbst, sind stille Tafeln. Weder Figur noch Natur bilden Inspirationsquellen für seine Arbeit, so wie es noch bei den Pionieren der Abstraktion der Fall war, als Mondrian den Baum in seine Einzelteile zerlegte, oder Kandinsky die Landschaft als spirituellen schwebenden Kosmos geschaffen hatte. Das abstrahierende abbildende Moment steht nicht zur Diskussion, sondern das Bild, die Malerei um ihrer selbst Willen. Alexander Rodtschenko leitete 1921 mit seinem letzten Bild in den drei Grundfarben von 1921 eine neue "Formel" der abstrakten Malerei ein, eine auf sich verweisende in Form, und Textur. Es ist was es ist. Diesem analytisch "aufklärerischen" Konzept folgten zahlreiche Protagonisten der Nachkriegskunst wie vor allem Ryman, Kelly, Marden und Stella.
Trotz Ruprechters puristisch minimalistischer Haltung setzt der Künstler nicht nur auf Kriterien der Form und der Oberflächenbeschaffenheit seiner Bilder. Hinter den Streifenbildern findet der Betrachter eine nonverbale abstrakte Metaebene, die eine meditative Spiritualität ausstrahlt. “Das Spirituelle in der Kunst ist das im wörtlichen Sinn ganz andere. Es lässt sich weder zeigen noch sagen. Wo es als das ganz andere angesprochen wird, hat sich seine Erfahrung schon entzogen. Das Geistige in der Kunst lässt sich nicht herbeireden. Es lässt sich nur erschweigen. Eine Art des Erschweigens ist in der Kunst die Abstraktion”1, so Georg Frank. Der Philosoph erkennt in der Spiritualität eine moralische Haltung des Künstlers, der eine geradezu »mönchische Disziplin« und »geheiligte Nüchternheit« einnimmt.2 Er lädt uns zur kontemplativen Betrachtung des Bildes ein. Das Bild ist formal asketisch, rein, schweigend in sich ruhend, ein Schleier vor einer transzendentalen Wirklichkeit. Dieses Gemälde möchte keine Aufmerksamkeit erregen, es ist kein Informationsträger oder Unterhaltungsmedium mit Live-Charakter. Es ist ein Bild, das seinen Betrachter auf sich selbst wirft: Anschauung zur Selbstreflexion.
Die rhythmische Setzung der Streifen und akzentuierten Einschnitte in das Bild untermauert das Anschauende und Meditative in Ruprechters Werken; diese ähneln in ihrem Wesen der Abfolge kalligrafischer Systeme in Kolonnen, die die geistige Vertiefung beim Lesen unterstützen. Ruprechter geht es um die sensible Kraft des Kompositorischen, den inneren Gleichklang der Formen. Hier sieht der Künstler eine Wahlverwandtschaft mit Agnes Martin, der Grande Dame der US-Minimal-Art:
»Komposition ist ein absolutes Geheimnis. Sie wird vom Inneren diktiert. Der Künstler sucht nach bestimmten Klängen oder Linien, die seinem Inneren angenehm erscheinen, und schließlich nach einer Anordnung, die angenehm ist.«3 So Martin.
1 Georg Frank, Nichts ist nicht nur Nichts, in: Helmut Federle XLVII Biennale Venedig, Bern 1997, S. 143.
3 Agnes Martin: Schriften, Ostfildern-Ruit 1991, S. 157-160, zit. nach: Der zerbrochene Spiegel: Positionen zur Malerei, Ausst. Kat. Museumsquartier Messepalast und Kunsthalle Wien 1993 / Deichtorhallen Hamburg 1994, Köln 1993, S. 26.