Maria C. Holter
zur Eröffnung der Ausstellung INTRODUCING 2
2009
Schon der erste Eindruck in der von Brigitte Konyen kuratierten Ausstellung zeigt, wie spannungsvoll die Erstlingsarbeiten in Glas von Barbara Höller, Fritz Ruprechter, Maria Vill und Peter Wechsler aufeinander bezogen sind und wie sehr sich introducing 2 von introducing 1, der Vorgängerausstellung, bei der 2007 Nora Bachel, Ilse Chlan, Gertude Moser-Wagner, Angela Schwank und Akelei Sell vertreten waren, unterscheidet.
Die Vielfalt der Artikulationsmöglichkeiten im Medium Glas wird nun zum 2. Mal von namhaften Künstlerinnen und Künstlern erprobt. Es ist ein - hoffentlich langfristiges - Projekt, zu dem man der Galerie und Glaswerkstätte Geyling und letztlich dem Stift Schlierbach als Betreiber nur gratulieren kann, denn es erzeugt nicht nur für die eingeladenen Kunstschaffenden, sondern auch für die Glaswerkstätte selbst günstige Synergien. So kann das Unternehmen Geyling gewinnen, wenn Glaskunst aus dem rein dekorativen Kontext gelöst wird und sich als ein auch heute noch gültiges, gegenwartstaugliches Medium beweist.
Es wäre durchaus vorstellbar, wenn Architekten mit Entwurfsaufträgen an Höller, Ruprechter, Vill oder Wechsler heranträten und diese unter Einbindung der Glasfabrik Geyling bei privaten, öffentlichen und sakralen Bauten zur monumentalen Ausführung kämen. Vielleicht ein zukunftsweisender Gedanke, den man angesichts der heute ausgestellten qualitätvollen Arbeiten zu Ende denken und auf dessen Verwirklichung man drängen sollte. Zu sehen sind also künstlerische Erstgeburten in Glas. Korrespondierend dazu haben die Künstlerinnen und Künstler Werke gebracht, die Ihr aktuelles Schaffen und ihre „ureigenste“ Arbeitsweise repräsentieren sollen. Es lohnt zu ergründen, ob und inwieweit sich das übliche Tun eines Kunstschaffenden ändert, sogar ändern muss, wenn sie oder er sich mit komplett neuen Arbeitsbedingungen konfrontiert sieht.
Barbara Höllers Kunst kreist um das Ausloten von Materialgrenzen und das Spiel mit Gesetzmäßigkeiten oder Regeln, die das ausgewählte Material vorgibt, oder die sich die Künstlerin selbst als Grundkonzept auferlegt. Dies gilt sowohl für die beiden hier entstandenen Glasarbeiten mit dem Titel glass lines als auch für die mit Antenne bezeichneten Aquarelle. Beiden Werkserien liegt ein Raster von Rechtecksteilungen zugrunde, der von der Künstlerin beliebig ein- und ausgeblendet wird. So basiert der Entwurf zu glass lines auf einem per Mausklick ausgedünnten, zu einem Labyrinth umgestalteten Liniensystem, dessen Rechtecksgröße bei 3 mal 6 cm liegt. Ähnlich, nur mit anderen mathematischen Größen verhält es sich bei der formalen Gestaltung der Aquarelle. Was tut nun das Material - weißer Lack und Glas hier, Bleistift und Aquarelllasuren auf Papier dort? Barbara Höllers erste technische Versuche mit weißen Linien AUF Glas wurden schnell zu weißen Linien IN Glas. Glass lines 1 und 2 bestehen jeweils aus 3 dünnen Schichten Weißglas – eine Hinter- und eine Vorderscheibe, dazwischen die im 3 mal 6 cm Raster zerschnittene Mittelscheibe. Bei glass lines 1, der transparenten Arbeit, wurde jedes Rechteckchen rundum an der dünnen Schnittfläche mit weißem Lackstift überzogen, die Mittelplatte wieder zusammengefügt und im Brennofen mit Vorder- und Rückplatte zu einem Ganzen verschmolzen. Der Linienraster tritt recht exakt – fast ZU exakt – zu Tage. Das veranlasste Höller dazu in glass lines 2, der schwarz unterlegten, nicht die Schnittflächen, sondern die jeweiligen Vorder- und Rückkanten jedes Glasrechtecks mit 2 weißem Lack zu überziehen, und zwar nur mehr dort, wo dem Computerentwurf folgend Linien erscheinen sollten. Ganz aus der Nähe betrachtet, sieht man, dass sich dieser mühsame Vorgang gelohnt hat. Die doppelten Lacklinien, die im Schmelzprozess nicht immer exakt übereinander zu liegen gekommen sind, erzeugen ein Flimmern und Flirren, eine Unschärfe, die der Arbeit im Zusammenspiel mit den aufperlenden, unterschiedlich großen, verfestigten Luftblasen, Leichtigkeit und eine fast impressionistische Zartheit verleihen. Dass das Einfrieren des Augenblicks neuerdings zu einer der größten Stärken von Barbara Höller gehört, hat sie erst jüngst bei der Installation „Die Ordnung der Zeit“ in der Kunsthalle Krems bewiesen. Nun stellt sie sie auch bei glas lines 1 und 2 und den aktuellen Aquarellen, die mit dem Zufallsergebnis unterschiedlich auf dem Papier auftrocknender Farbseen spielen, unter Beweis. Es tut den formal sehr strengen, minimalistischen Arbeiten Höllers gut, dass Irritationen zugelassen, ja von der Künstlerin durch die Wahl des jeweiligen Materials und Entstehungsprozesses selbst herbeigeführt werden. Glas als ein Medium, das dem Chaos in der Ordnung Raum zu geben vermag.
Fritz Ruprechter und Maria Vills Glasarbeiten haben technische Gemeinsamkeiten, die auch vom Laien erkennbar sind: Das Glas wurde mit Quarzsand satiniert, in der Vorbereitung dazu mit Folie abgeklebt, der Entwurf übertragen und die Folie dort eingeschnitten und abgezogen, wo die Form als weiß mattierte Fläche erscheinen sollte. Was das Formenvokabular von Vill und Ruprechter betrifft gibt es ebenfalls Übereinstimmungen – beide Künstler üben sich in asketischer Selbstbeschränkung. Ruprechters signifikantestes Gestaltungselement ist die Schräge in Linie, Flache und räumlicher Überschneidung. Bei Vill ist es das mannigfaltige Alphabet von A bis A, das sich wie ein weißer Faden durch ihr Gesamtwerk zieht. Eine letzte Gemeinsamkeit die auffällt, ist das bewusst von den Künstlern einkalkulierte Spiel mit Licht und Schatten, das durch die Montierung des Glases mit einigem Abstand vor der Wand gezielt ermöglicht wird. Je nach Beleuchtung – im Idealfall das vorbeiziehende Tageslicht – wirft die mattierte Form ihren wandernden Schatten an die Wand. Das Kunstwerk wird einem steten Wandel unterzogen, hervorgerufen auch durch die unterschiedliche Position der Betrachterin oder des Betrachters vor dem Werk und den dabei entstehenden Spiegelungen, Farb- und Lichtreflexen. Eben dieses Charakteristikum des Glases ist es, was vermutlich für beide Künstler neue Wege eröffnet hat. Räumliche Tiefe, die durch die Schattenwirkung des Glases oder durch die tatsächliche Schichtung desselben erzielt wird, ist Fritz Ruprechter auch in seinen bekannten Kartonschnitt-Wachs-Arbeiten und Aquarellen ein zentrales künstlerisches Anliegen. Wenn man Ruprechters großformatiges, wachsgetränktes Aquarell mit den beiden Schichtglas-Bildern in Beziehung setzt, so erschließt sich die ähnliche Vorgangsweise und Intention. Hier wie dort arbeitet der Künstler mit einer durch Überlagerung an Intensität zunehmenden Farbigkeit, wiewohl bei Ruprechter nie von Buntfarbigkeit die Rede sein kann. Gemeint ist immer ein Farbton, der von Hell nach Dunkel gesteigert wird: beim Aquarell eine graue Lasur, die durch wiederholtes Auftragen an den dafür bestimmten Schrägstreifen an Dichte und Dunkelheit zunimmt; beim geschichteten Industrieglas ist es das Grün, dessen Nuancen durch die Überlagerung von translucid bis zu einem satten Grünton variieren. Noch ein Satz zum großem Glas, das als Hommage an Ando Hiroshige, dem Japanischen Farbholzschneider und in manchem Seelenverwandten von Ruprechter, den Titel sudden shower trägt: Es besteht aus 30 Glasstreifen, die in 2 Schichten hintereinander in die beiden Alu-Schienen geschoben werden. Theoretisch könnte der künftige Besitzer dieses Werks die Streifen in wechselnden Konstellationen montieren, denn sie können beliebig 3 untereinander ausgetauscht werden, ohne dass dem künstlerische Konzept Ruprechters dabei zuwider gehandelt wird. Das Medium Glas als Ausdruckträger für Wandelbarkeit.
Wandelbarkeit ist auch ein Merkmal für Maria Vills konsequente Arbeit mit dem 1. Buchstaben unseres Alphabets: es finden sich unzählige Variationen zum Thema A seit 1991 im Werk der Tiroler Künstlerin. Der Großbuchstabe A wird von ihr weder symbolisch aufgefasst – als universaler Anfang, noch sprachlich oder musikalisch – als Laut oder Ton, sondern ausschließlich formal – als 2 Schrägen die mit dem Querbalken ein annähernd gleichseitiges Dreieck bilden. In seine Komponenten zerlegt, fragmentiert oder multipliziert manifestiert er sich in den reduzierten Gestaltungen. Für die bildhafte Umsetzung wählt Maria Vill Materialien, die der Strukturierung und Reduktion ihrer Buchstabenderivate entgegenkommen. In der Malerei bevorzugt sie unbehandelte, quadratische Gründe, aus denen sie mit Titan- und Zinkweiß, sowie mit sparsam eingesetzten Grautönen die Varianten des Versal-As herausmodelliert. Die heute gezeigten Arbeiten sind Vexierbilder, ähnlich der Möbiusschleife, bei denen sich je nach Standort und Lichteinfall die Gestaltung unterschiedlich aus dem Bildgrund schält. In den beiden satinierten Glastafeln erscheint die Form als Inversion – als transparente Aussparung und Negativform einerseits, als weiß satiniertes Positiv andererseits. Das eine ist bereits im anderen enthalten. Glas, um dem Unsichtbaren durch das Sichtbare Gestalt zu verleihen.
Der Nachsatz zu Barbara Höllers glass lines, nämlich Chaos in der Ordnung zuzulassen, könnte zugleich Peter Wechsler Vorsatz gewesen sein, als er sich anlässlich dieser Ausstellung erstmals dem Material Glas künstlerisch stellte. Dass ein so sprödes, schwer grafisch zu bearbeitendes Medium wie Glas ausgerechnet Peter Wechsler zu ungekannter Lockerheit und gestischer Entäußerung veranlasste, muss mit Verwunderung, oder besser, mit Bewunderung zur Kenntnis genommen werden. Denn wer Wechslers zeichnerischen Kosmos kennt, aus dem er heute 2 Kostproben mitgebracht hat, bei dem jede Handbewegung, jeder Strich auf den Millimeter genau seinen Platz zugewiesen bekommt und an denen oft Monate Schicht für Schicht gearbeitet wird, der steht staunend vor den beiden Glasobjekten, die von Spontaneität und Lust an der Aktion getragen sind. Mit dem Diamantschreiber, einem mit Diamantspitze ausgestatteten Griffel, wie er zur Glasgravur verwendet wird, den Wechsler aber auch für seine Kaltnadelradierungen einsetzt, schrieb der Künstler Linienbündel, Knäuel und punktförmige Verletzungen in die Glasplatten ein. Jeder Hieb mit dem Griffel, jede Rille ist vorerst als weißliche Wunde im Glas sichtbar. Wechsler schwärzte - analog zum Druckprozess bei der Radierung – die Glasplatten ein, wischte anstelle von Druckfarbe jedoch Schwarzlot, eine Mischung aus Metalloxiden und Glasfluss, in die Gravur und ließ sie in der Werkstätte brennen. Anschließend wurden die Platten im Atelier wieder mit dem Diamantschreiber überarbeitet. Wechsler wiederholte den Zeichen-, Einfärbungs- und Brennprozess so lange, bis er mit dem Ergebnis auf den immer dichter und dunkler werdenden Glasplatten zufrieden war, die schon von Anbeginn auf Schichtung und Überlagerung hin konzipiert waren. Als letzen Schritt hinterließ der Künstler auf manchen Platten, eine Gloriole von punktförmigen Hieben, die, aufgrund ihrer da und dort aufblitzenden Helligkeit, wie ein Sternennebel über der fast undurchdringlich gewordenen linearen Gestaltung zu schweben scheint. Für die 3teilige Arbeit entwarf Wechsler ein Rahmungssystem mit Schienen, das dem Besitzer erlaubt, die 3 im Abstand von jeweils 8 mm hintereinander montierten Platten – wie bei Ruprechter – wieder herauszunehmen und nach seinem eigenen ästhetischen Empfinden neu zu ordnen. Glas als ein Medium, das dem Chaos in der Ordnung Raum zu geben, dem Unsichtbaren durch das Sichtbare Gestalt zu verleihen vermag. Glas als Ausdrucksträger für Wandelbarkeit. Es stellte sich eingangs die Frage, ob neue kreative Potentiale in einer Künstlerin oder einem Künstlers frei werden, wenn sie oder er auf Glas trifft.
Die Ausstellung introducing 2 mit den Werken von Barbara Höller, Fritz Ruprechter, Maria Vill und Peter Wechsler gibt darauf beredt Antwort.
Mag. Maria Christine Holter, Kunsthistorikerin, Kuratorin und –vermittlerin,
lebt und arbeitet in Wien
www.mariaholter.at