2018 Zawrel

Peter Zawrel

Zur Eröffnung der Ausstellung
in gradski muzej vrsac, Serbien
2018

Fritz Ruprechter ist in der österreichischen Kunst eine Ausnahmeerscheinung. Seit Jahrzehnten arbeitet er an der Vertiefung einer Kunst der Einfachheit, unter anderem auch getragen von fernöstlichen Philosophien. Dass er auch die Kunst des japanischen Bogenschießens, Kyudo, übt, vermag nicht zu überraschen. So wie im Kyudo geht es ihm auch in der visuellen Kunst nicht um ein Ziel, sondern um den Weg zu diesem. Dieser Weg kann nur in einer angemessenen Haltung erfolgreich beschritten werden. Jedes Werk von Fritz Ruprechter ist Ausdruck einer solchen konkreten, der Welt angemessenen Haltung, die nichts abbildet, nichts kommentiert, nichts interpretiert. Die Bilder, die seine Kunst erzeugt, öffnen uns aber einen Raum. Dieser Raum ist vorerst leer, und nichts erklärt uns diesen Raum.

Fritz Ruprechter arbeitet konkret, minimalistisch und geometrisch. Wer in Österreich so arbeitet, muss sich seine Orientierungspunkt wo anders suchen. So kommt es, dass er wohl Österreichs maßgeblicher Experte für das Werk von Josef Albers ist, dem großen Wegbereiter einer konkreten Kunst schon in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Dabei geht es nicht um die Abstraktion des Gegenständlichen, sondern um die Vergegenständlichung eines abstrakt Geistigen in Farbe und Form auf einem Bildträger.

Deswegen tragen die Werke von Fritz Ruprechter auch keine Titel. Eine Ausnahme ist die serielle Werkgruppe „An einem Nebeltag“, eine Hommage an Agnes Martin‘s legendäre Serie von 1973 mit dem Titel „On a clear day“. Mit ihr hat Martin eine siebenjährige Schaffenspause beendet. Die 30 Siebdrucke sind streng orthogonal strukturiert. Vielleicht sind sie auch eine Antwort auf Martin‘s colourfield painting „This rain“ von 1958. Ruprechters Serie wirkt weniger streng. Sie ist, wie alle seine Bilder der letzten Jahre, nur vertikal strukturiert. Die Oberfläche weist Störungen dieser Struktur auf, die der Technik entspringen. Diese verbirgt sich bei Ruprechter stets hinter der Flachheit der Bilder. Er arbeitet mit Wachs oder mit Lack, mit Aquarellfarben und mit Papier, das er auch zerschneidet und wieder zusammensetzt oder faltet. Daraus entstehen Hell und Dunkel, Licht und Schatten, ein Raum im Bild und Bilder, die den sie umgebenden Raum visuell umgestalten. Die Flachheit verneint aber jeglichen Illusionismus.

Wir sehen bei Fritz Ruprechter, dass das, was wir zu sehen vermeinen, nicht existiert. Es gibt in seinen Bildern kein Oben und kein Unten, daher auch kein Vorne und kein Hinten, keinen Horizont als Bezugnahme auf eine äußere Welt. Die Horizontale ist in der abendländischen Kunst jene Linie, die den Himmel von der Erde scheidet, das Göttliche vom Menschlichen. Die Vertikale stört diese Ordnung stets, um eine neue zu erschaffen. Sie bestimmt die Bilder, die Fritz Ruprechter erzeugt. In dieser Ordnung entfaltet sich zweierlei: eine Zeit und Raum. Die Zeit wird uns durch die Farben erfahrbar, denn diese Bilder verändern ihr Aussehen im Licht, sie erscheinen uns stets andersartig; aber niemals neuartig.

Diese Wahrnehmung der Bilder spiegelt den Vorgang ihres Entstehens, in dem es „um das insistierende Wiederholen eines scheinbar gleichen Vorganges“ geht, „mit dem Ziel der Vertiefung und Verfeinerung des Werkes“ (Walter Zschokke 1997). Es ist keineswegs paradox, dass sich das Tun Fritz Ruprechters mit denselben Worten beschreiben lässt wie etwa die Kunst der Ikonenmalerei. Hier ist das Bild, und hier sind wir. Das Bild zeigt uns nichts außer sich selbst. Es ist das, was es zeigt, und nichts anderes.

Der große französische Philosoph Gilles Deleuze hat in seinem Buch „Le pli. Leibniz et le Baroque“ (1988) anhand der Gedankenwelt des deutschen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), den man einen Wegbereiter einer konkreten Wissenschaft nennen könnte, ausgeführt, wie die Welt zu einer Virtualität wird, die aktuell nur in den Falten der Seele existiert. Solche Faltungen finden wir im Werk Fritz Ruprechters wieder. Sein „Nachdenken im Tun“ (Zschokke 1997) steht dem unreflektierten Handeln in unserer gegenwärtigen Gesellschaft gegenüber, über das, wenn überhaupt, stets zu spät nachgedacht wird. Sein Werk lädt uns ein, die Welt in den Faltungen unserer Seele zu entdecken, anstatt unsere Seele in der Welt finden zu wollen.

Peter Zawrel

 

Peter Zawrel (*1956) ist seit Februar 2013 Geschäftsführer im Künstlerhaus in Wien, war 1999 bis 2011 Geschäftsführer des Filmfonds Wien, 1987 bis 1999 in verschiedenen Funktionen in der Kulturabteilung des Landes Niederösterreich/Niederösterreichisches Landesmuseum tätig, davor als freiberuflicher (Kunst)Historiker in Wien und Rom. Er hat in Wien das Studium der Deutschen Philologie, Kunstgeschichte und Geschichte absolviert und ist seit 1983 Mitglied des Instituts für österreichische Geschichtsforschung.